Sonntag, 9. August 2009

Newsletter des SIC vom 08.08.2009 - Deutsch

(Damit der Informationsfluss nicht abreißt, stelle ich hier ausnahmsweise meine deutsche Übersetzung des Newsletters vom SIC ein, bis der Green Brief wieder erscheint.)


Samstag, 8. August 2009

Nachrichten

- BBC: die zweite Verhandlungssitzung zur Untersuchung der Anklagen gegen die nach der 10. Präsidentschaftswahl Festgenommenen fand heute statt. Neue Quellen haben bestätigt, dass Ahmad Zeidabadi (Journalist und Generalsekretär der Dafatar-e Takhim Vahdat Alumni Organization), Ali Tajernia (Mitglied des Zentralrats der Islamischen Iranischen Partizipationsfront und Vertreter der Stadt Mashhad im 6. Parlament), Shahabeddin Tabatabaei (Mitglied des Zentralrats der Islamischen Iranischen Partizipationsfront), Hedayat Aghaei (Führungsmitglied des Zentralrats der Partei für Aufbau/”Construction Party”), und Mohammad Javad Emam (Mitglied der Organisation der Mojaheddin der Islamischen Republik) in der Verhandlung anwesend waren.

Clotilde Reiss und zwei iranische Angestellte der französichen und der britischen Botschaften waren ebenfalls anwesend.

Die Anklage, die in der heutigen zweiten Sitzung verlesen wurde, enthielt vorwiegend Anschuldigungen gegenüber westlichen Ländern, sie hätten Bedingungen für einen Umsturz (des Regimes) geschaffen. Darüberhinaus wurden Namen einiger internationaler Firmen in der Anklage genannt.

Großbritannien wurde in einigen Abschnitten der Anklage namentlich genannt. Das Land wurde beschuldigt, über seine Botschaft in Teheran die Nähe zu den politischen Parteien gesucht und seine iranischen Mitarbeiter “extensiv” in der gesamten Stadt für den Erhalt von Informatinen eingesetzt zu haben.

Der stellvertretende Staatsanwalt beschuldigte “alle Diplomaten der Britischen Botschaft”, nach der Wahl an illegalen Versammlungen teilgenommen zu haben und nannte in diesem Zusammenhang den ersten und den zweiten politischen Generalsekretär der Botschaft sowie zwei weitere britische Diplomaten.

Die Anklage warf weiterhin dem ersten politischen Generalkonsul der britischen Botschaft ein Treffen mit “einem der prominenten politischen Reformer während der Bearbeitung seines Visums und Gesrpäche über die Wahlkandidaten, die Ereignisse nach der Wahl und die Freitagspredigten nach der Wahl” vor.

Dem British Council (Großbritanniens internationale Organisation für kuturelle Beziehungen) wurde vorgeworfen, “Stipendien vergeben und Sprachprüfungen (einschl. IELTS) abgehalten” zu haben; der Council habe “informierte” und “effektive” Personen identifiziert , um deren “Ausnutzung in kritischen Situationen” zu ermöglichen.

In der Anklage wurde die Firma Nokia-Siemens beschuldigt, “falsche Informationen” über Kommunikationsüberwachungssysteme geliefert zu haben. Twitter, Facebook und Google sind weitere Firmen, denen Unterstützung der Unruhen vorgeworfen wird.

- BBC: Der britische Außenminister hat als Reaktion auf die Anwesenheit von Hossein Rassam, einem Mitarbeiter der britischen Botschaft in Teheran, in der zweiten Verhandlungsrunde gegen die nach der Wahl Inhaftierten das Vorgehen Irans als “empörend” bezeichnet. Das Statement des britischen Außenministeriums wurde zur gleichen Zeit veröffentlicht, zu der iranische Nachrichtenquellen Äußerungen von Herrn Rassam während der Verhandlung zitierten, er habe “im Auftrag der Botschaftsleitung” versucht, “einflussreiche Personen und Figuren aus politischen Gruppierungen und Organisationen zu kontaktieren”.

Das Außenministerium verkündete in einem Statement, dass Irans Aktion, Herrn Rassam vor Gericht zu bringen, “vollkommen inakzeptabel” sei und fügte hinzu, dass dies “in direktem Widerspruch zu wiederholten Zusicherungen seitens der iranischen Behörden” stehe. Weiterhin heißt es: “Wir verurteilen diese Prozesse und die sogenannten Geständnisse von Inhaftierten, denen ihre grundlegenden Menschenrechte abgesprochen wurden”

Tabnak-Mowj Sabz: Im Zuge der Gerichtsverfahren gegen politische Aktivisten und nach der Wahl Inhaftierte wurden drei Familienangehörige von Ali Tajernia verhaftet. Beamte hatten der Familie von Ali Tajernia, einem Vertreter im 6. Parlament und einem der Unterstützer der Kampagne von Mir Hossein Mousavi, mitgeteilt, sie könnten ihn sehen, wenn sie an der heutigen Verhandlung teilnehmen würden. Seine Familie, darunter seine Frau, sein Bruder und seine Schwägerin, erhielten keinen Zutritt zum Gerichtssaal und hatten daher vor dem Gebäude gewartet in der Hoffnung, Dr. Tajernia nach der Verhandlung für einige Augenblicke sehen zu können. Nach Ende der Verhandlung näherten sich einige Polizisten in Zivil Zahra Miryounsei, Tajernias Ehefrau, und forderten sie auf, ihre Papiere zu zeigen und ihre iranische oder ausländische Identität nachzuweisen. Sie wurde verhaftet, weil sie keine Papiere bei sich hatte. Tajernias Bruder und die Schwägerin versuchten einzugreifen und wurden ebenfalls verhaftet. Mowj Sabz zufolge wurden sie wenige Stunden später verhaftet.

- Radio Farda: Auf der Webseite von Ayatollah Akbar Hashemi Rafsanjani wurde der Eintrag zur Freitagspredigt am kommenden Freitag entfernt, die er halten sollte. Auf der Webseite war zuvor angekündigt worden, dass Ayatollah Hashemi Rafsanjani, Chef des Expertenrats, die Freitagspredigt am 14. August halten würde.

Gleichzeitig zitierte die Zeitung Khabar News den Leiter der Teheraner Freitagsgebete, Hojjatoleslam Reza Haghavi, mit den Worten, es sei ungewiss, ob Ayatollah Hashemi Rafsanjani bei dem kommenden Freitagsgebet anwesend sein und die Predigt halten würde; dies würde vom Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei abhängen.

- Radio Farda: Am Samstag Morgen während der Verhandlung gegen Protestteilnehmer gegen die Präsidentschaftswahl versammelten sich Dutzende von Angehörigen vor dem Gerichtsgebäude in der Khayyam Straße in Teheran. Einem Augenzeugen zufolge verhinderten Sicherheitskräfte, dass sie sich dem Gebäude nähern und ihre inhaftierten Angehörigen besuchen konnten.

- Mowje Sabz: Nach der Entlassund der beiden Informationsminister Haj Habibollah und Khazaei fand heute die Abschiedszeremonie für Dr. Firouzabadi, den IT-Beauftagten dieser Abteilung statt. In Kürze wird diese Zeremonie auch für den Parlamentsabgeordneten des Ministeriums abgehalten werden.

“Alef” zufolge hatte Firouzabadi 25 Jahre lang die technische Verantwortung im Informationsministerium inne und wurde als einer der prominenten IT-Spezialisten bezeichnet.
Neuesten Nachrichten zufolge wird die Verabschiedung des Parlamentsabgeordneten Mansourizadeh morgen stattfinden. Offenbar wird der (Schutz- oder Sicherheits-) Abgeordnete (engl. “protection deputy”, d. Übers.) bald ausgetauscht.

Diese Veränderungen werden zu einem Zeitpunkt vorgenommen, wo es keinen amtierenden Informationsminister gibt und der Präsident dieses Ministerium beaufsichtigt.

-Mowje Sabz: Die Islamische Iranische Partizipationsfront hat in einem Statement die fortdauernden Verhaftungen und Repressionen unabhängiger und reformorientierter Journalisten sowie eine nie dagewesene Zensur durch die regierungsorientierten Behörden verurteilt. Gleichzeitig gratulierte sie dem Journalistentag zu all den Ehrenträgern dieses Titels, Journalisten, Reportern und anderen unabhängigen Aktivisten auf diesem Gebiet. In dem Statement heißt es: “In diesem Jahr, am Vorabend des Journalistentages, ist der Iranische Journalistenverband als Heim und sichere Zuflucht für diese ehrenwerten Menschen vor zwei Tagen geschlossen worden von denjenigen, die die Schließung von mehr als 100 Zeitungen, Magazinen und Veröffentlichungen sowie Haftbefehle gegen tausende Journalisten und Reporter zu verantworten haben. Dadurch sind Medien- und Pressemitarbeiter ihrer einzigen unabhängigen Unterstützung beraubt.

- Mowj Sabz: Eine Gruppe politischer Aktivisten in der Provinz Golestan hat einen offenen Brief and Ayatollah Noormofidi, den Repräsentanten dieser Provinz im Expertenrat geschrieben, in dem sie ihn bitten, gegen das harte Durchgreifen in der Provinz und im Land zu protestieren. Sie warnten davor, dass im Falle einer Abspaltung des Klerus und des Regimes vom Volk der Klerus für immer von der politischen Bühne Ians verschwinden werde.

- Deutsche Welle: 40 iranische und deutsche Philosophen haben sich in einem Statement mit der iranischen Zivilgesellschaft solidarisch erklärt und sich gegen die gewaltsame Unterdrückung der Proteste gegen das Wahlergebnis im Iran ausgesprochen. Sie forderten die Freilassung der während der letzten Wochen Inhaftierten. Unterzeichnet haben unter anderem bekannte Persönlichkeiten wie Angelika Beer (Vorsitzende der Delegation für Beziehungen mit Iran in der EU), Rainer Braun (Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands), Hamid Debashi (Professor an der University of Columbia) und Mohsen Masserat (ein in Deutschland lebender iranischer Friedensforscher).

Nachrichten von Verhafteten, Vermissten und Getöteten
- BBC: Die Familie von Saeed Hajjarian hat ihre Besorgnis über dessen Gesundheitszustand bekundet, woraufhin Ghorbanali Dorri Najafabadi, der Generalstaatsanwald der Islamischen Rebulik, bekanntgab, dass die Sonderjustizbehörde empfiehlt, Herrn Hajjarian zu entlassen. Dorri Najafabadi zufolge ist Saeed Hajjarian in der Haft gut untergebracht und versorgt, doch “wir schlagen vor, Hajjarian zu entlassen und unter Hausarrest zu stellen”.

- BBC: Arash Naeimian, der Sohn von Nazak Afshar, der Mitarbeiterin der Kulturabteilung der französischen Botschaft, sagte, Sicherheitsbeamte hätten seine Mutter verhaftet und innerhalb von zwei Tagen vor Gericht gestellt. Frau Afshars Sohn sagt, dass seiner Mutter während der Vernehmungen Ende Juni damit gedroht worden war, wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit angeklagt zu werden.

Nach dem, was iranische Behörden nun als Nazak Afshars Geständnis bezeichnen, wurde sie offenbar wegen “Aufruhrs, Etablierung eines Netzwerks und Gewährung von Schutz für die Aufstände in der Kulturabteilung der französischen Botschaft” angeklagt.
Herr Naeimian bezeichnet diese Anschuldigungen als lächerlich. Frau Afshar nahm sich nach ihrer Verhaftung am Donnerstag einen Anwalt, konnte sich jedoch nicht mit ihm treffen.


Analyse

- Norooz: Dr Hashem Aghajari bezeichnete die Aktivisten, die nach der Wahl vom 12. Juni verhaftet wurden, als Geiseln des Staatsstreichs gegen den Willen und die Wahlstimmen der Nation und sagte, die Verhaftungen sowie die Art und Weise, wie mit den inhaftierten politischen Aktivisten umgegangen werde, liege jenseits von bewussten oder illegalen Schachzügen, sondern sei politische Geiselnahmen.

Aghajari sagte, das Hauptziel der Verhaftung von politischen Aktivisten sei es, Geiseln zu nehmen, um die Grundidee des Staatsstreiches zu stärken (“influence”, d. Übers.”). Er sagte, die Logik einer Geiselnahme beruhe auf dem Grundsatz “wie du mir, so ich dir”. Geiselnehmer würden das Leben der Geiseln zu einem Schlüssel für das Feilschen und Lösen des wichtigsten Problems machen, so dass das eigentliche Problem vergessen werde. Dies habe er auch in anderen Fällen von Verhaftungen (z. B. von ausländischen Geschäftsleuten und Bürgern) erlebt.

Das Mitglied des Zentralrats der Islamischen Mojahedin fuhr fort: Die Geiselnahme von politischen Aktivisten nach der Wahl sei in Wirklichkeit ein Versuch, die öffentliche Meinung, die Medien und die Bevölkerung von dem Hauptproblem des Staatsstreichs vom 12. Juni und der momentanen Verhaftungen abzulenken und die Hauptforderung nach Rückgabe der Wahlstimme an die Nation auf die Forderung nach Freilassung der Inhaftierten umzulenken.

Auf diese Weise würde die Freilassung der Aktivisten anstatt die Lösung des Hauptproblems, nämlich der Wahlfälschung, der zu zahlende Preis sein, .

Hashem Aghajari sagte: unser grundlegendes Problem ist, dass am 12. Juni 2009 ein Staatsstreich gegen den Willen des Volkes geschehen ist, und dies ist der Grund dafür, dass die Menschen die Rückgabe ihrer Stimmen fordern.
(Die Behörden) wollen jedoch erreichen, dass wir das Hauptproblem hinter uns lassen und die Wahlfälschung zugunsten der Freilassung der Inhaftierten vergessen.

Empfehlungen und Warnungen

Mohsen Sazegara hat sein Video für Freitag-Sonntag veröffentlicht. Er sagte, wenn die Möglichkeit zur Bildung von Ausgangszentren für große Demonstrationen nicht bestehe, sollte auf verstreute Proteste zurückgegriffen werden. Er betonte jedoch, dass Orte, die von vielen Menschen besucht würden (z. B. Ahya/Trauer-Nächte, Stadien etc.) sich gut dafür eignen, mit Protesten mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Er bezeichnete es als angemessen, Stadien zu “begrünen” und eine politische Atmosphäre dort zu schaffen, betonte jedoch, dass diese Orte wegen ihrer Abgeschlossenheit und der Risiken, identifiziert zu werden, maximale Aufmerksamkeit und Vorsicht erfoderten, um Verhaftungen zu vermeiden.

Sazegara unterstrich außerdem, dass Flashmobs zu den täglichen Plänen gehörten und keine öffentlichen Aufrufe erforderten. Wenn jedoch ein Aufruf zu einer größeren Demonstration an einem Ort erfolge, so sei eine vorherige Vorbereitung äußerst wichtig und entscheidend. Er sagte, einer der effektivsten Wege, um das Land zu lähmen, sei der Boykott von Waren. Dieser dürfe jedoch nicht missbraucht werden. Um die Sanktionen zu regulieren schlug er vor, nur der Regierung unterliegende Waren zu boykottieren und vom Guard Corps hergestellte oder importierte Waren zu bevorzugen. Eine Liste dieser Waren wird zur Zeit erstellt und bald veröffentlicht.

Die Audio-Files von Sazegaras Ansprache sind dem Newsletter beigefügt.



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Übersetzung aus dem Englischen: Julia
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Zusatz:
Aktuelle Demonstrationstermine in Deutschland gibt es hier (keine Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit):
http://lilalinda-juliasblog.blogspot.com/2009/07/demonstrations-in-germany-alphabetical.html


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